Von den Frauen erzählt

Auf dieses Buch haben Tucholsky-Fans schon lange gewartet: Tucholsky und die Frauen – Das Psychogramm eines Beziehungsunfähigen heißt die im Verlag für Berlin-Brandenburg erschienene Studie von Klaus Bellin. Sie widmet sich endlich ausführlich einem Thema, das auch in Tucholskys Wikipedia-Biografie mit einem eigenen Abschnitt gewürdigt wird.

Aber nein, so heißt das Buch natürlich nicht. Es trägt den durchsichtigeren Titel Es war wie Glas zwischen uns. Die Geschichte von Mary und Kurt Tucholsky, was obendrein den irreführenden Eindruck erweckt, es gehe darin lediglich um die Beziehung zwischen Tucholsky und seiner zweiten Frau und möglicherweise vor allem um Mary. Und was die Märkische Allgemeine zu der abgedrehten Überschrift »Verrückt nach Mary« inspirierte.

Genauer sagt es dagegen der Einband: »Hier wird von den Frauen erzählt, die den Weg des Schriftstellers kreuzten – und von der einen Liebe, die nicht gelebt werden konnte und die trotzdem nicht starb.«

Bellin räumt ein, dass er für das Buch keine neuen Quellen ausgewertet hat. Es basiert vor allem auf dem vorliegenden biografischen Material (Raddatz, Hepp, Bemmann, Schmeichel-Falkenberg, Zwerenz), den Briefen Tucholskys sowie den in der Gesamtausgabe auszugsweise veröffentlichten Antworten Marys und den Bekenntnissen seiner anderen Frauen. Aber dennoch: In der Zusammenschau liest sich das Ganze wie eine eigenständige psychologische Studie, eine Art monothematische Biografie. Mit dem erschreckenden Fazit: Hier herrscht Beziehungsunfähigkeit auf höchstem Niveau, in fast jeder Lebenslage. Genug Material, um eine mittlere psychologische Gemeinschaftspraxis zu beschäftigen. Aber Tucholsky unterstützte mit seinem sauer erschriebenen Geld lieber die Blumen- und Süßwarenindustrie. Um nach geglückter Eroberung schnell wieder einen Rückzieher zu machen. Sehr traurig das Ganze.

Bellin geht mit Tucholsky durchaus hart ins Gericht. So urteilt er über dessen Verhalten, als Mary 1919 durch das kriegsgeschüttelte Baltikum irrte:

Sie steckt im Bürgerkrieg, inmitten von Mord und Terror, und er spricht von Soldatspielen. Falscher, kälter, unsensibler kann er kaum reagieren. (S. 47)

Wozu Tucholsky, der alte Alexithymiker, im August 1923 an Mary selbst geschrieben hatte:

Richtig ist eines: es muß in mir eine kalte, leere Stelle sein, die nicht reagiert, wenn man das erwartet. Ich habe das oft schon selbst gesehen – wie kalt-verwundert ich manchmal fremdem Schmerz zusehe, wie unbeteiligt, wie meilenweit entfernt.

Neben der Beziehung zu Mary widmet sich Bellin auch Tucholskys anderen Frauen: der ersten Verlobten Kitty Frankfurther, der ersten Ehefrau Else Weil (Claire Pimbusch aus Rheinsberg), seinem »Lottchen« Lisa Matthias, der »Nuuna« Hedwig Müller und dem »Fröken« Gertrude Meyer. Auch die merkwürdige Affäre mit Aline Valangin wird erwähnt.

Über die Gründe, die all diese Beziehungen scheitern ließen, kann auch Bellin nur spekulieren. Er verweist auf den Hass Tucholskys auf seine Mutter Doris und fragt:

Hat das Verhalten der Mutter, das der Sohn nie entschuldigen, nie in milderem Licht sehen wird (und das Schwester Ellen bezeugt hat), Tucholskys Verhältnis zu Frauen geprägt oder wenigstens beeinflusst? […] War Doris Tucholsky die Ur-Erfahrung, die beim Umgang mit Frauen, bewusst oder unbewusst, nicht auszublenden war? (S. 21)

Bellin antwortet darauf mit Mary, die die erste gewesen sei, die »daran nie zweifelte«.

Auch Tucholskys Arbeitswut, die ihn oft bis in die Nacht an die Schreibmaschine fesselte, machten das Zusammenleben nicht leichter. »Außerdem betrüge ich jede Frau mit meiner Schreibmaschine und erlebe daher nichts Romantisches«, hat er das in der Einleitung zu Schloß Gripsholm selbst beschrieben. Besonders aus den Briefen von 1925 bis 1927 geht hervor, dass Mary sich häufig wie seine Sekretärin gefühlt haben muss.

Ein ebenso großes psychologisches Rätsel wie die Beziehungsprobleme schimmert in dem Band ebenfalls kontinuierlich durch: Tucholskys Fixierung auf äußerliche Dinge und materiellen Wohlstand. Bellin schreibt:

Dass er Mary unentwegt erzählt, er müsse erst viel Geld verdienen, um ihr ein angemessenes Leben zu sichern, ist darum nicht nur Marotte und Ausrede. Es ist Hinhalte-Taktik, krampfhafte Abwehr, gewiss, aber zugleich eine existenzielle Bedingung, von der Kurt Tucholsky nicht lassen wird. (S. 43)

Wobei Tucholsky das Geld nicht nur für seine Frau(en) brauchte, wie Mary 1955 schrieb:

Er war ein Herr. Er hätte ohne Geld in der Misere nicht leben können, soviel bedeutete das Leben ihm nicht. Er hatte Freude an schönen Dingen. Im Mief oder in einer kleinbürgerlichen Atmosphäre hätte er nicht atmen können. (S. 144)

So ist das fehlende Geld einer der Gründe, die nach Ansicht Bellins hinter Tucholskys Tod im Dezember 1935 standen.

Kurt Tucholsky war krank und müde, lebensmüde. Die Frau, die er liebte und mit der er nicht leben konnte, verloren, das Buch, das er im Kopf mit sich herumtrug, ungeschrieben, die finanziellen Mittel erschöpft und keine Aussicht auf ein Deutschland ohne Nazis. (S. 152)

Nach dem Krieg machte sich Alleinerbin Mary unermüdlich an die Arbeit, das verstreute Werk Tucholskys zu sammeln. Sie setzte sich

an die alte Schreibmaschine und verfasst Brief um Brief. Forscht nach den alten Freunden, Kollegen und Kampfgefährten Tucholskys, bittet sie zu sich, fragt sie aus, jede Kleinigkeit ist wichtig, jede Auskunft, die sie einen Schritt weiterbringt. (S. 155)

In der Öffentlichkeit hielt sich Mary dagegen sehr zu zurück. Mit einer Ausnahme, wie Bellin bemerkt. 1957 intervenierte sie bei der Herausgabe eines Tucholsky-Sammelbandes, für den der Schriftsteller Hermann Kesten ein Vorwort geschrieben hatte. Die Debatte über Kestens Vorwort lässt sich gut in einem ausführlichen Spiegel-Artikel von 1958 nachverfolgen, in dem es heißt:

Mary Gerold-Tucholsky und der Verlag Rowohlt begründen ihre Klage gegen die Büchergilde auf Unterlassung im wesentlichen damit, daß sie ihre Rechte an Tucholsky-Texten nur für eine Lizenz-Ausgabe hergegeben hätten, zu der jedenfalls nicht ohne ihre Einwilligung ein »eigenständiger Text« gestellt werden dürfe. Hilfsweise ist beantragt, das Gericht möge untersuchen, ob Kestens kritischer Essay noch den Charakter eines Vorworts erfülle. Die klagenden Parteien sind der Ansicht, Kestens Einleitung sei geeignet, den Menschen und Schriftsteller Tucholsky »bei breitesten Leserkreisen zu diffamieren«.

Letzteres ist Kesten sicherlich nicht gelungen, was Mary Gerold und Fritz Raddatz auch dadurch verhinderten, dass sie den ganzen Tucholsky veröffentlichten.

Klaus Bellin hat mit seinem Buch sicherlich keine Forschungslücke geschlossen, aber einen gut lesbaren und informativen Blick auf einen besonderen und wichtigen Aspekt von Tucholskys Leben geworfen.

Klaus Bellin: Es war wie Glas zwischen uns. Die Geschichte von Mary und Kurt Tucholsky. Verlag für Berlin-Brandenburg, Berlin 2010, 168 Seiten, 10 Abbildungen, 19,90 Euro, ISBN 978-3-86650-039-6

Kommentare (0)
Kommentieren