Der 100. Geburtstag von Irmgard Keun war vielen Medien eine kleine Meldung wert. Sofern sie den von dpa verbreiteten Text übernahmen, erhielt man den Eindruck, dass Tucholsky die Schriftstellerin in der Rezension ihres ersten Romans „Gilgi, eine von uns“ mit geradezu überschwenglichem Lob bedachte:
„Eine schreibende Frau mit Humor, sieh mal an! Hurra! Hier arbeitet ein Talent!“
Zum einen ist es eine merkwürdige Art von dpa, sich ein solches Zitat aus einem längeren Text Wort für Wort zusammenzuklauben, dabei Wörter zu verändern und zum Schluss noch ein Ausrufezeichen als Zugabe dranzuhängen. Zum anderen sparte Tucholsky am Ende seiner Buchbesprechung auch nicht mit Kritik:
Flecken im Sönnchen, halten zu Gnaden. Hier ist ein Talent. Wenn die noch arbeitet, reist, eine große Liebe hinter sich und eine mittlere bei sich hat –: aus dieser Frau kann einmal etwas werden.
Peter Panter: „Auf dem Nachttisch“, in: Die Weltbühne, 2.2.1932, S. 180
Die Freude über diese literarische Entdeckung währte aber nicht lange. Nachdem Keuns zweiter Roman „Das kunstseidene Mädchen“ erschienen war, musste Tucholsky sich davon überzeugen, dass die von dem Schriftsteller Robert Neumann erhobenen Plagiatsvorwürfe berechtigt waren. Keun war sich keiner Schuld bewusst und bat Tucholsky darum, in dem Streit zu vermitteln. Was dieser auch tat. In einem Brief an Keun zeigte er sich aber entsetzt über deren Naivität:
Warum in aller Welt haben Sie das gemacht? Sie haben doch dergleichen gar nicht nötig! Sie sind eine hochbegabte Schriftstellerin – ich habe gegen manches Einwände, aber Sie können bereits etwas, und, was mehr wert ist: Sie sind jemand. Und nun das da –! (…) Ich trete für neue Leute ein, wo ich nur kann, und daß ich kein Literaturpapst bin, wissen Sie auch. Aber bitte glauben Sie mir: hätte ich ‚Karriere‘ gekannt und wäre das Buch nicht von Ihnen gewesen, so hätte ich daraus einen bösen Casus gemacht.
Brief an Irmgard Keun vom 16.7.1932