Am 30. Januar dieses Jahres waren 75 Jahre seit der Machtübergreifung (Tucholsky) der Nationalsozialisten vergangen. Folglich wird es in diesem Jahr noch viele weitere Tage geben, an denen es der einschneidenden Ereignisse vor einem Dreivierteljahrhundert zu gedenken gilt. In seinem Kalenderblatt vom 7. März erinnerte das Deutschlandradio Kultur daran, dass vor 75 Jahren ein Traum zu Ende ging:
Als Forum aufklärender Kunst und Kultur diente in der Weimarer Republik die Zeitschrift „Die Weltbühne“. Kurt Tucholskys Traum von einem aufgeklärten Menschentum wurde kurz nach Machtantritt der Nationalsozialisten zerstört.
Es folgt eine geraffte Zusammenfassung der „Weltbühne“-Geschichte, angefangen 1905 mit der Gründung der „Schaubühne“ durch Siegfried Jacobsohn und endend mit dem Gedicht „Auf die Weltbühne“, das Tucholsky zum Namenswechsel der Zeitschrift am 4. April 1918 veröffentlichte.
Mit Blick auf solche runden Jahreszahlen schrieb der Philosoph Ernst Bloch 1924 in der „Weltbühne“, zum 200. Geburtstag Immanuel Kants:
Wer mag das nun eigentlich erfunden haben: sich jeweils zu erinnern, daß der oder jener große Mann hundert, hundertfünfzig, zweihundert Jahre grade tot oder geboren ist? Auf die Jahre, ja selbst auf Geburt oder Tod kommt es ja nicht mehr an. Kants Geburt ist keine Art Weihnacht, Kants Tod keine Art Karfreitag, sondern es wird sehr einfach nur irgendetwas gefeiert, das Land mit einer Salve von Phrasen überschüttet.
„Kant-Feier“, 8.5.1924, S. 605
Aus diesem Grund ist es eher sekundär, dass das Verbot der Zeitschrift ziemlich genau 75 Jahre zurückliegt, wenn demnächst ein Auswahlband zur „Weltbühne“ erscheinen wird. Ihre Aktualität sollten die darin enthaltenen Texten schon aus sich heraus besitzen. Aus Teutschland Deutschland machen – Ein politisches Lesebuch zur „Weltbühne“ lautet der Titel der Anthologie, die voraussichtlich ab Mai erhältlich ist. Aus naheliegenden Gründen wird sich dann hier keine Rezension, sondern eher eine Eigenanzeige finden.
Und wer unbedingt Gedenktage braucht: Am 10. Mai wird es 75 Jahre her sein, dass die deutschen Studenten unliebsame Bücher verbrannten. Von den 15 Personen, die in den offiziellen Flammensprüchen genannt wurden, waren neun Autoren der „Weltbühne“. Die Nazis wussten sehr genau, wessen Träume sie am meisten fürchten mussten.