Das Verhältnis des Redakteurs zum freien Schriftsteller ist nicht so, wie es sein sollte.
Der Redakteur, dem freien Schriftsteller in mehr als einer Hinsicht nahe verwandt, mit ihm aus demselben Boden entsprossen, betrachtet den freien Schriftsteller nicht so als Berufskollegen, wie das wohl wünschenswert wäre, sondern sieht ihn vielmehr leider mit Verlegeraugen an.
Der vom Unternehmer angestellte geistige Arbeiter wertet sehr häufig schon nach kurzer Praxis den ökonomisch unsicheren, frei arbeitenden Berufsgenossen so wie sein Brotherr: von oben herunter.
Diese Sätze beruhen auf meinen Erfahrungen als Mitglied einer berliner Redaktion, und ich muß hinzufügen, daß ich als freier Schriftsteller im allgemeinen über die Kollegen in den Redaktionsstuben in keiner Weise zu klagen habe. Ich spreche also nicht pro domo. (Obgleich das kein Schade wäre.) Es sind mir aber sehr wohl die Klagen vieler freier geistiger Arbeiter bekannt, die sich – meiner Meinung nach mit Recht – über die Haltung der Redakteure beklagen.
Neben der unangenehmen Wertschätzung der sogenannten „großen Namen“ läuft eine Mißachtung der weniger großen parallel. Da ist zunächst die Frage der überlangen Fristen bei Offertenbeantwortungen. Der aktuelle Artikel, der aus irgendwelchen Gründen vom Redakteur zu lange in der Schublade behalten wird, ist nach vierzehn Tagen bei seiner Rückgabe für den Schreiber unbrauchbar geworden, er kann ihn nirgends mehr anbieten, und so haben wir das seltsame Schauspiel, daß ein geistiger Arbeiter (der Redakteur) das Werk seines Kollegen (des freien Schriftstellers) fahrlässig vernichtet.
In der Frage der durchaus unzulänglichen Honorare, die von den Zeitungen an die Mitarbeiter gezahlt werden, ist der Redakteur doch nicht ganz so einflußlos, als es den Anschein hat. Es ist mir in meiner Praxis soundso oft gelungen, den Widerstand des sparenden Verlages zu brechen und für die freien Schriftsteller (und Zeichner) wenigstens einigermaßen zureichende Bezüge durchzusetzen. Es kann auf keinen verständigen Unternehmer ohne Einfluß bleiben, wenn ihm sein Redakteur, der Geschäftsführer seiner Ressorts für geistige Arbeit, auseinandersetzt, daß er für schlechte Honorare nur mittelmäßige Schriftsteller zu Mitarbeitern bekommt, und daß er mit der dauernden Unterbietung der Preise Qualität und Niveau der geistigen Arbeiter drückt und sich so letzten Endes selber schadet. Demgegenüber habe ich leider feststellen müssen, daß es eine Reihe Redakteure gibt, die sich durch Überbetonung des Unternehmerstandpunktes ihren Kollegen gegenüber beim Verleger lieb Kind machen und sich lediglich als Angestellte des Unternehmers und nicht auch als Angehörige einer weiteren geistigen Gruppe betrachten. Das Angestelltenverhältnis dem Verleger gegenüber ist nicht zu leugnen, und es involviert sicherlich die Pflicht, die Interessen des Verlages nach außen hin wahrzunehmen. Das geschieht aber häufig mit einer Rücksichtslosigkeit, die jede geistige Artverwandtschaft mit dem freien Schriftsteller leugnet und ein vorhandenes Vertragsverhältnis über das Kollegialitätsgefühl triumphieren läßt.
Es ist mir sehr wohl bekannt, mit wieviel faulen Elementen, die sich als „Schriftsteller“ ausgeben, der Redakteur zu tun bekommt; ich weiß auch, wie groß die Menge der taktischen Rücksichten und Hemmungen ist, denen der Redakteur nun einmal unterworfen ist. Ich glaube aber doch, daß es anders und besser sein könnte, als es augenblicklich ist. Der Redakteur, der heute seine Stellung verläßt, kann morgen freier Schriftsteller sein, und der freie Schriftsteller, der heute beim Redakteur antichambriert, kann morgen auf seinem Platz sitzen. Sie sind beide geistige Arbeiter. Sie sollten mehr zusammenhalten, und besonders der Redakteur sollte mehr zum freien Schriftsteller halten, damit sich manifestierte, was latent vorhanden ist: ihre Kollegenschaft.
Autorenangabe: Kurt Tucholsky
Ersterscheinung: Deutsche Presse, 31.03.1922, S. 3.
Editionen: Kurt Tucholsky: Gesamtausgabe. Texte und Briefe. Hrsg. von Antje Bonitz, Dirk Grathoff, Michael Hepp, Gerhard Kraiker. 22 Bände, Rowohlt Verlag, Reinbek 1996ff., 1922
Kurt Tucholsky: Deutsches Tempo. Gesammelte Werke. Ergänzungsband 1. Hrsg. von Mary Gerold-Tucholsky und J. Raddatz. Rowohlt-Verlag, Reinbek 1985. S. 286 ff.
[…] Redakteur und freier Schriftsteller […]
[…] Dumm vor allem, dass trotz dieses ungewöhnlichen Appells von Bärtels sich an der Situation wenig ändern wird. Denn es scheint sich um eine journalistische Konstante zu handeln, die fast physikalische Gültigkeit besitzt. So schrieb Tucholsky bereits 1922 seinen Kollegen ins Gewissen: Neben der unangenehmen Wertschätzung der sogenannten "großen Namen" läuft eine Mißachtung der weniger großen parallel. Da ist zunächst die Frage der überlangen Fristen bei Offertenbeantwortungen. Der aktuelle Artikel, der aus irgendwelchen Gründen vom Redakteur zu lange in der Schublade behalten wird, ist nach vierzehn Tagen bei seiner Rückgabe für den Schreiber unbrauchbar geworden, er kann ihn nirgends mehr anbieten, und so haben wir das seltsame Schauspiel, daß ein geistiger Arbeiter (der Redakteur) das Werk seines Kollegen (des freien Schriftstellers) fahrlässig vernichtet. […]