Es war einmal ein Kaiser, der über ein unermeßlich großes, reiches und schönes Land herrschte. Und er besaß wie jeder andere Kaiser auch eine Schatzkammer, in der inmitten all der glänzenden und glitzernden Juwelen auch eine Flöte lag. Das war aber ein merkwürdiges Instrument. Wenn man nämlich durch eins der vier Löcher in die Flöte hineinsah – oh! was gab es da alles zu sehen! Da war eine Landschaft darin, klein, aber voll Leben: Eine Thomasche Landschaft mit Böcklinschen Wolken und Leistikowschen Seen. Rezniceksche Dämchen rümpften die Nasen über Zillesche Gestalten, und eine Bauerndirne Meuniers trug einen Arm voll Blumen Orliks – kurz, die ganze moderne Richtung war in der Flöte.
Und was machte der Kaiser damit? Er pfiff drauf.
Autorenangabe: anonym
Ersterscheinung: Ulk, 22.11.1907, Nr. 47
Wieder in: Mit 5 PS.
Editionen: Kurt Tucholsky: Gesamtausgabe. Texte und Briefe. Hrsg. von Antje Bonitz, Dirk Grathoff, Michael Hepp, Gerhard Kraiker. 22 Bände, Rowohlt Verlag, Reinbek 1996ff., Band 1, Texte 1907-1913.
Ders.: Gesammelte Werke in 10 Bänden. Hrsg. von Mary Gerold-Tucholsky und Fritz J. Raddatz. Rowohlt Verlag, Reinbek 1975. Band 1, S. 39 ff.
[…] Märchen […]
[…] Heute ist es auf den Tag genau 100 Jahre her, dass die ersten Texte von Kurt Tucholsky in der Presse erschienen sind. Am 22. November 1907 veröffentlichte die Satirebeilage des Berliner Tageblatts, der Ulk, zwei anonyme Texte unter den Titeln "Märchen" und "Vorsätze". Ihr Autor war der 17 Jahre alte Tucholsky, der in dieser Zeit von einem Privatlehrer auf das Abitur vorbereitet wurde. […]