Wenn man jemanden wie Burkhard Schröder zum Chefredakteur einer Journalisten-Zeitschrift macht, darf man sich nicht wundern, dass krawallige Editorials dabei herauskommen. Die Ausgabe 8/2006 des Berliner Journalisten widmet sich dem Thema Religion. Gleich zu Beginn stellt Schröder klar, warum sich die Lektüre der folgenden Beiträge eigentlich nicht mehr lohnt. Bei Religion handele es sich schließlich um
Aberglauben und mehr oder minder primitive Magie (…) Religion und Aberglauben sind zwar Privatsache, aber wer die Existenz eines Jahwe, Gott, Allah oder Manitou für wahr hält, kann auch gleich den Wetterbericht nach der Tagesschau durch einen Regenzauber aus Neu-Guinea ersetzen. (…) Aus der Perspektive eines Atheisten ist der weltanschauliche Unterschied zwischen Joseph Alois Ratzinger alias Benedikt XVI., dem Scientologen Ron Hubbard, einem Schamanen der Apachen und einem Präses der Evangelischen nur marginal.
Das mag aus der Sicht eines Atheisten tatsächlich stimmen. Schröder geht jedoch weiter und behauptet, dass es auch für jeden Journalisten stimmt. Stimmen muss. Denn es sei verlogen
religiös zu sein und etwa über die Karikaturen Mohammeds in den Medien zu räsonieren, ohne im Abspann zuzugeben, dass man an absurde Dogmen glaubt wie etwa die Wiedergeburt eines Gottessohnes oder die zu erwartende Wiederkunft eines Messias.
Schröder gibt seinen Kollegen daher den wohlmeinenden Rat:
Für Journalisten gilt daher der immer noch aktuelle Aufruf Kurt Tucholskys: „Tretet aus der Kirche aus. Tretet aus der Kirche aus. Tretet aus der Kirche aus.“
Tucholsky mag seine Gründe gehabt haben, 1914 aus dem Judentum aus-, 1918 in die evangelische Kirche ein- und aus dieser irgendwann wieder auszutreten, wobei letzteres biographisch nicht belegt ist. Einige der Gründe gehen aus dem Text „Auch eine Urteilsbegründung“ hervor, aus dem das Zitat entnommen ist.
Aber ist es tatsächlich „eine Frage der Berufsehre“, wie Schröder sein Editorial überschrieben hat, kein Mitglied einer Religionsgemeinschaft zu sein, um distanziert über einen Papstbesuch in Deutschland schreiben zu können? Darf ein Journalist, der über den Telekommunikationsmarkt schreibt, kein Telefon irgendeiner Telefongesellschaft besitzen? Kein Wunder Zufall, dass sich ein christliches Medienmagazin über diese Thesen echauffiert. Aber wie naiv muss Schröder eigentlich sein, um zu glauben denken, die Medien würden aus eigener Religiosität auf den religiösen Zug aufspringen? Indem er die berechtigte Kritik an dem pseudoreligiösen Papst-Hype mit seiner ebenso ideologischen wie überzogenen Forderung verbindet, tut er seinem eigenen Anliegen keinen Gefallen.
Dass nur noch sehr wenige Menschen an die tradierten Dogmen glauben, ist der Kirche selbst schmerzlich bewusst. Und warum jemand letztlich aus der Kirche austritt, hat in den seltensten Fällen etwas mit religiöser Überzeugung zu tun. „Ich bin im Jahre 1911 ‚aus dem Judentum ausgetreten‘, und ich weiß, daß man das gar nicht kann“, schrieb Tucholsky in seinem Brief an Arnold Zweig“. Woran jemand glaubt und zu was er sich zugehörig fühlt, hängt nicht von einer Eintragung auf der Steuerkarte ab.
Einen bemerkenswerten Satz hat Schröder aber dennoch in seinem Editorial geschrieben:
Natürlich gibt es dumme Journalisten. Klugheit wird in diesem Beruf nicht vorausgesetzt.
Die unendlichen Mühen, die sich Atheisten machen, sich selbst ihre Ungläubigkeit einzureden und alle anderen von ihrem Dogma, dass man nicht glauben kann und darf und soll, zu überzeugen, amüsieren mich immer wieder, tut hier jedoch nichts zur Sache.
Burks hat Tucholsky nicht im Ansatz verstanden. Zitate googlen ist das eine, Autoren verstehen das andere. Tucholsky war ja nun gerade ein ganz großer Vertreter des subjektiven Schreibens, des publizistischen Engagements, das von einer wandelbaren, aber immer klaren und meist nachvollziehbaren Haltung getragen wurde.
Dass sich Tucholsky so oft gegen die Kirchen wendet, hat ja gerade mit seinem Glauben und seiner Glaubenssuche zu tun, da wollte er sich nicht einengen lassen. Tucholsky hat an Kirchenvertretern (wie an Parteifunktionären) ihre Unaufrichtigkeit gestört, gerade weil ihm die Sache stets so wichtig war.
Kurt Tucholsky ist sicherlich der ungeeignetste Beweisversuch für Fanatismus schröderscher Prägung und noch viel weniger Zeuge einer quasi aseptischen Objektivität.
Und so habe ich für Burks noch ein Tucholsky-Zitat von 1929:
„Jede Arbeit, die ein Mensch tut, schafft sich ihre kleine Religion: auch der Henker hat die seine.“