Die oberpfälzische Gemeinde Sulzbach-Rosenberg ist literarisch noch nicht sonderlich in Erscheinung getreten. Dennoch hat es eine Ausstellung zur Weltbühne ausgerechnet in den Freistaat verschlagen, wo die Zeitschrift spätestens seit der Kampagne „Reisende, meidet Bayern!“ wohl wenig Freunde hatte. Bis zum 29. September dieses Jahres ist die Ausstellung im Literaturarchiv Sulzbach-Rosenberg zu sehen, wie aus einem Artikel des Online-Portals Oberpfalznet hervorgeht.
An einer sehr zeitgemäß-anschaulichen Beschreibung des Briefwechsels zwischen Kurt Tucholsky und seinem Herausgeber Siegfried Jacobsohn hat sich dabei Autor Franz Pegemeyer versucht:
Mit welchem Arsenal von Witz und Ironie die beiden Edelfedern einander begegneten, wenn es um die pünktliche Zahlung von Honoraren ging, das versetzt den heutigen Zuhörer doch in Erstaunen: Welche Kultur der Kommunikation einst bestand, als man sich noch nicht in Echtzeit stets alles flüstern konnte, was einem der Augenblick auf die Seele brennt. Und welcher Aufwand betrieben wurde, um sich gegenseitig die Wahrheit zu geigen, ohne aggressiv-verletzend sein zu wollen. Geistreiche Ironie wirkt dabei als Datenairbag – der Angesprochene fühlt sich kritisiert und geschmeichelt zugleich.
Sulzbach-Rosenberg ist nicht nicht nur Gemeinde, sondern Stadt. Literarisch ist sie deshalb sehr wohl in Erscheinung getreten, weil sie Geburtsort von Walter Höllerer ist. Den wiederum kennt man auch nördlich der weißblauen Demarktationslinie, weil er in Berlin als Germanist tätig war und der erste war, der den Titel des Literaturpapstes trug. Höllerer, der 2003 verstarb, gründete 1977 das Literaturarchiv.
Wenn sich Pegemeyer nur versucht hätte, wäre sein Unterfangen nicht gelungen. Kann man aber mE so nicht behaupten.
Das schrieb die örtliche Konkurrenz von der Mittelbayerischen Zeitung:
Roter Baustein der Demokratie
Zum 100. Geburtstag: Das Literaturarchiv widmet der Wochenschrift „Die Weltbühne“ eine Ausstellung
von Peter Geiger
Sulzbach-Rosenberg. Wie wohl ein heutiger Werbeslogan aussehen würde? „Am Dienstag ist Weltbühnen-Tag.“ Oder: „Bei uns lesen Sie in der ersten Reihe!“ Ach Gott: Der Zeitungsmarkt war natürlich noch nicht so eng besetzt, und so etwas wie Medienkonkurrenz bestand allenfalls gegenüber dem Buch, damals, 1905, als Siegfried Jacobsohn in Berlin die „Schaubühne“ gründete. Zunächst war sie abonniert allein auf Bühnenthemen, und begriff sich als „theaterkritisches Fachblatt“. Erst 1913 wurden Geschäftszweig und Untertitel erweitert: Der lautete fortan „Wochenzeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft“ und bot den Lesern nicht mehr nur Theaterrezensionen, sondern auch eine Vielzahl aktueller Themen. Trotz dieser Veränderungen – in einer Beziehung blieb sich die „Weltbühne“, wie sie seit 1918 hieß, treu: Die Auflage überstieg selten die Zehntausendermarke. Und ihre Geldnot war so legendär wie ihr ziegelroter Einband.
Legende des Enthüllungsjournalismus
Vor allem in den Jahren der Weimarer Republik erhielt sie ihr Image, für das sie bis heute berühmt ist: Mit der Aufdeckung der Feme-Morde und der so genannten „Schwarze Reichswehr“ 1921 landete sie ihren größten journalistischen Coup. Und lieferte damit das role-model für den Enthüllungsjournalismus unserer Zeit. „Die Weltbühne“ war ihrerseits Heimstatt der edelsten Federn: Nicht nur Lion Feuchtwanger begann hier seine Karriere, der berühmteste aller „Weltbühnen“-Schreiber, Kurt Tucholsky, war gleich mehrfach vertreten: Als multiple Persönlichkeit ging er mit 5 PS zu Werke – wobei PS nicht für Pferdestärken, sondern für Pseudonym steht. Die Geschichte der „Weltbühne“ schmiegt sich eng an den Verlauf der politischen Ereignisse – und als der Weimarer Republik von den Nazis der Garaus gemacht wird, da ist auch die Geschichte des kleinen, rührigen Blatts zu Ende, das so vehement für den Erhalt der Demokratie gekämpft hatte.
Anschauliche Begegnung
Sunhild Pflug vom „Kurt Tucholsky Literaturmuseum Schloss Rheinsberg“ beschrieb in ihrem Einführungsvortrag die Schwierigkeiten, denen sie sich als Ausstellungsmacherin zu stellen hatte: „Um die Textauszüge für den Betrachter leichter zugänglich zu machen, wurden die Ausstellungstafeln mit Bildmaterial, historischen Fotografien, Dokumenten, Zeichnungen und Karikaturen ergänzt.“ Sicher ein unabdingbarer Schritt, erschien doch die „Weltbühne“ Zeit ihres Bestehens gänzlich bilderlos. Dennoch ist es Sunhilde Pflug und ihren Kollegen gelungen, dem Besucher eine anschauliche und sinnliche Begegnung mit der „Weltbühne“ zu ermöglichen: Neun Tafeln, jeweils mit griffigen Zitaten überschrieben, stehen für die „Glanzzeit“ der Zeitschrift von 1919 bis 1933. Nach 1945 gab es ein Nachleben in der DDR. Doch besser schweigt man über den Dichter Peter Hacks: Er schleudert aus der warmen Redaktionsstube der zur Staatszeitschrift gelifteten Journalismuslegende dem soeben aus dem Arbeiter- und Bauernparadies hinausgeworfenen Wolf Biermann noch ein paar Unflätigkeiten hinterher. Die „Weltbühne“ auf Seiten des Establishments? Auf Seiten der Mächtigen? Ja, der Einband hatte noch die alte Farbe.
Geiz kann so geil sein
Der Schauspieler Peter Klewitz erinnerte in einer begleitenden Lesung auch an die Finanznot der Zeitschrift – und welch herrliche Früchte Siegfried Jacobsohns Klammsein in Form von Briefen an seinen Mitarbeiterfreund Kurt Tucholsky zur Reife brachte. Ja, Geiz kann so geil sein – jedenfalls, wenn er dafür verantwortlich ist, dass solche Pointen aufs Briefpapier gezaubert werden. Peter Klewitz wird übrigens auch die Finissage bestreiten: Am 22. September wird er gemeinsam mit dem Amberger Pianisten Florian Häusler und der Regensburger Sängerin Silke Heimann eine Tucholsky-Revue präsentieren. Nicht versäumen! Denn Tucholsky-Leser wissen mehr!