Je länger der Karikaturenstreit andauert, desto merkwürdigere Details kommen ans Tageslicht. Ein positiver Effekt der Debatte dürfte aber darin bestehen, dass sich die Öffentlichkeit noch einmal darüber klar wird, was es eigentlich zu verteidigen gilt und was in der europäischen Geistesgeschichte schon alles überwunden wurde. Einen umfassenden Versuch in diese Richtung unternahm Martin Halter, dessen entsprechender Text in der Badischen Zeitung und der Hannoverschen Allgemeinen erschien. Darin kommen auch zeitgenössische Karikaturisten zu Wort, die selbstredend wenig Verständnis dafür aufbringen, sich ausgerechnet in religiösen Dingen eine Zensur aufzuerlegen:
„Bei Karikaturen werden immer Menschen verletzt“, sagt Heribert Lenz; „ein positiver Witz ist kein Witz“. Selbst eher unpolitische Cartoonisten wie Hans Traxler oder Ralf König springen ihren Kollegen von „Jyllands-Posten“ jetzt mit Solidaritätskarikaturen bei: „Wenn der Westen nicht dagegen hält“, warnt König, „ist’s bald vorbei mit Presse- und Meinungsfreiheit.“
In seinem historischen Abriss kommt Halter an Tucholsky natürlich nicht vorbei:
Tucholskys berühmtes „Was darf Satire? Alles“ war 1919 mehr Manifest als Zustandsbeschreibung (und allenfalls die halbe Wahrheit); aber Kabarettisten, Karikaturisten und Schriftsteller glaubten sich damals noch in der historischen Offensive: Eine Religion, die das Schlachten des Weltkriegs segnete, schrieb Tucholsky 1929 zum Grosz-Prozess, habe das Recht verloren, sich über Schändung und Kränkung zu beklagen. Wenn jemand „Gefühle verletzt“ habe, dann eine Kirche, deren Autorität „rechtens in die Binsen gegangen“ sei.
Mit einem wahrhaft dialektischen Ausspruch von Meister Eckhart wartet Halter gegen Ende seines Textes auf: „Wer Gott selbst lästert, lobt Gott“, habe der Mystiker damals geraunt. Nur zur Erinnerung: In dem Karikaturenstreit geht es um alles mögliche, nur nicht um den lieben Gott.