Nach den nicht enden wollenden Lobreden auf Siegfried Jacobsohns „Gesammelte Schriften“ versuchte die FAZ am Wochenende, die Verhältnisse noch einmal zurechtzurücken. In seinem Text „Kollege Jacobsohn oder Ist man Theaterkritiker für die Ewigkeit?“ beantwortet Gerhard Stadelmaier die Frage, die sich sein Kollege von der „Süddeutschen“ vergeblich gestellt hatte: Warum das Werk von Siegfried Jacobsohn nicht annähernd dieselbe Aufmerksamkeit der Nachwelt erhalten hat wie die Schriften seiner Starautoren Kurt Tucholsky und Alfred Polgar.
Aber man durchliest die Tausende von Jacobsohn-Seiten, diese überlangen, oft ohne jeden Absatz, ohne Pausen und Luftholen auskommenden Abhandlungen, ohne auch nur einmal von irgendeinem Hauch, geschweige denn von einem Luftzug angeweht zu werden. Kann sein, daß Jacobsohn für seine Zeit eine republikanische Berühmtheit, ein kritisches Wunderkind war. Aber nichts von ihm ragt zu uns herüber. Kein Stil, keine Haltung, kein Argument, keine Formulierung, kein Witz. Er bleibt ein Zeitverhafteter. Er schrieb wackere, schöne, ausführliche Rezensionen.
Stadelmeier irrt sich jedoch, wenn er schreibt:
Wie er die „Antworten an die Leser“ erfand. Wie er diese „Antworten“ nutzte, um Politisches, Grundsätzliches, den Kritikerberuf Reflektierendes auch dergestalt unterzubringen, daß er schamlos log: „Als Kritiker freut mich das Leben nur, wenn ich loben kann.“
Die „Antworten“ gehen vermutlich auf eine Anregung Tucholskys zurück, was schon dadurch naheliegt, dass die Rubrik wenige Monate nach dessen Eintritt in die Redaktion der „Schaubühne“ eingeführt wurde. In einem späteren Brief ermahnte Jacobsohn seinen Mitarbeiter dazu, nach außen nicht damit zu prahlen, die „Antworten“ erfunden zu haben. Dies solle ein Redaktionsgeheimnis bleiben. Ebenfalls war Tucholsky zeitweise vertraglich dazu verpflichtet, eine bestimmte Anzahl an „Antworten“ beizutragen, wobei Jacobsohn und später Ossietzky sicherlich einen Großteil dieser „Briefe an die Leser“ beisteuerten. Aber eine endgültige Antwort auf die Frage, wer welchen Beitrag verfasste, wird sich wohl nicht mehr finden lassen.
Nachtrag 24.2.2006: Für die Zeitschrift Ossietzky versuchte Otto Köhler mit ziemlich viel Schaum vor dem Mund eine Replik gegen Stadelmaier zu verfassen. Aus Köhlers Text „‚Kollege Jacobsohn‘ – nein danke!“ geht aber nicht so recht hervor, worauf er eigentlich hinaus will. Aber da der Artikel mit dem Satz: „Es sollte ein Geburtstagsartikel werden: Siegfried Jacobsohn, unser Gründervater, wäre am 28. Januar 125 Jahre alt geworden.“ beginnt, sollte man ihn am besten nicht weiterlesen. Gerhard Stadelmaier hat derzeit ohnehin andere Sorgen.