Zensur à la Tucholsky

In ihrer Reihe über Auswüchse der DDR-Zensur hat sich die „Berliner Zeitung“ in dieser Woche mit den Werkausgaben Kurt Tucholskys befasst. Wie aus Siegfried Lokatis‘ Text „Dialektik“ hervorgeht, fiel es den Zensurbehörden der DDR naturgemäß nicht leicht, mit den marxismus-kritischen Passagen im Werk des bürgerlichen Antifaschisten Tucholsky umzugehen. Wie sah das konkret aus?

Arno Hausmann zensierte Tucholsky im Geist eines fürsorglichen Erbsachwalters, nicht etwa „nur wegen der uns obliegenden politischen Aufgaben“, sondern auch „aus der Achtung, die wir dem Andenken Tucholskys schulden.“ „Eine unkritische, womöglich vollständige Neuherausgabe all dessen, was Tucholsky schrieb“, sei, so Hausmann 1955, „nicht denkbar“: „Lebte er heute noch, so würde er gewiss vieles aus dieser 1919 zusammengestellten Auswahl herausstreichen, wie er damals schon vieles beiseite legte, was nicht mehr taugte. Wir sollten es wie Tucholsky machen.“

Kein Wunder, dass Tucholsky-Herausgeber Fritz J. Raddatz 1958 schließlich entnervt in den Westen verschwand. Dessen Nachfolger Roland Links bescheinigt Lokatis dagegen ein geschickteres Vorgehen bei der Publikation. So sei es Links gelungen, systemkritische Texte in der sechsbändigen Werkausgabe unterzubringen.

In der DDR konnte sich 1973 (im Band 6, Schloß Gripsholm, Auswahl 1930-1932) nur Tucholsky leisten, Trotzki positiv zu zitieren („Die Zeit“), die theoretischen Grundannahmen des Marxismus mit Freud zu kritisieren („Replik“) und der „kommunistischen Theologie“ den Gebrauch des Wortes „Dialektik“ zu verbieten („B.Traven“).

In einem Punkt irrt Lokatis jedoch. Zwar sind in den westdeutschen Ausgaben die Texte in der Tat chronologisch geordnet, dennoch hatte sich Raddatz entschieden, nicht die Originalfassungen, sondern die von Tucholsky selbst bearbeiteten Versionen der Sammelbände zu publizieren. Erst in der Gesamtausgabe wurde diese Praxis geändert.