Kantersieg in der Zitatenliga

3:1 für Tucholsky, lautet die eindeutige Bilanz dieses Medienwochenendes. Ein überraschendes Ergebnis angesichts der schweren Auswärtsbegegnungen, die auf dem Spielplan standen.

Zunächst galt es, sich im schweizerischen Zürich mit einer Rezension von Siegfried Jacobsohns „Gesammelten Schriften“ auseinanderzusetzen. Ganz klar, dass sich die „NZZ“ in ihrem Text „Das Theater allein kann sich nicht bessern“ auch auf Tucholsky berief. Dieser wurde am Ende des Textes präsise zitiert, um Jacobsohns journalistische Maxime zu nennen:

Wir alle, die wir unter seiner Führung gegen dieses Militär, gegen diese Richter und gegen diese Reaktion gekämpft haben, kennen seinen tiefsten Herzenswunsch: die Wahrheit zu sagen. Die Wahrheit Mozarts, die Wahrheit Schopenhauers, die Wahrheit Tolstois – inmitten einer Welt von Widersachern: die Wahrheit.
Kurt Tucholsky: „Siegfried Jacobsohn †“ , in: Die Weltbühne, 7.12.1926, S. 873

Die NZZ ließ sich die Chance nicht entgehen und brachte Tucholsky souverän mit 1:0 in Führung.

Das 2:0 fiel nach einer schönen Kombination in Frankfurt. Dort machte sich Mario Müller in der „FR“ Gedanken darüber, ob die Entscheidung der EZB, den Leitzins anzuheben, auch ökonomisch Sinn ergibt. Und wenn es um Volkswirtschaft geht, ist Tucholskys „Kurzer Abriss der Nationalökonomie“ immer für eine Steilvorlage gut: „Zusammenfassend kann gesagt werden: die Nationalökonomie ist die Metaphysik des Pokerspielers.“ Müller verwandelte den Traumpass anschließend sicher mit spielerischen Bemerkungen zu Peer Steinbrück und Jean-Claude Trichet.

Einen unerwarteten Gegentreffer erhielt Tucholsky in Gelnhausen. Dort war es zuvor zu einem heftigen Gerangel im Magistrat gekommen, wie der „Gießener Anzeiger“ berichtete:

Wer die SPD so rasch informierte, interessiert Christdemokrat Michaelis brennend. Und da er gerne Tucholsky zitiert, ruft er dessen bekannten Spruch in diesen Tagen wohl besonders oft in Erinnerung: „Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!“

Nun hat sich das USPD-Mitglied Tucholsky häufig darüber aufgeregt, dass die Mehrheits-SPDler unter Friedrich Ebert die Revolution von 1918/19 verraten haben, aber das genannte Zitat findet sich in seinem gesamten Werk nicht wieder. Ein eklatanter Stellungsfehler in der journalistischen Zitatenabwehr.

Den Schlusstreffer erzielte Tucholsky in Berlin, wo der Heimvorteil voll zur Geltung kam. Das „Neue Deutschland“ berichtete über eine Veranstaltung der „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“, auf der dem Verfassungsrichter Udo di Fabio der Preis für den „Reformer des Jahres“ verliehen wurde. Diese Veranstaltung wurde von einer Gruppe „Überflüssiger“ gestört, denen sich die Veranstalter problemlos entledigten. Das ND kommentierte diesen ungleichen Kampf mit einem länglichen Tucholsky-Zitat:

Denn nichts ist gefährlicher, als den Partner zu niedrig einzuschätzen – auf diese Weise sollen schon Kriege verloren gegangen sein. Glaub du ja nicht, du seist der einzig Schlaue weit und breit.
Peter Panter/Theobald Tiger: „Sind Sie eine Persönlichkeit?“, in: Uhu, 1.6.1931 S. 72

Mit dieser starken Leistung darf Tucholsky hoffen, nicht in die literarische Regionalliga abzusteigen.