In Weißensee, in Weißensee

Der jüdische Friedhof in Berlin-Weißensee soll bekanntlich zum Weltkulturerbe erklärt werden. Bei Berichten über den Friedhof wird selten zu erwähnen vergessen, dass dort auch Kurt Tucholskys Vater Alex begraben liegt. So auch in einem kurzen Text des Berliner „Tagesspiegel“ über das Familiengrab der Tucholskys.

Unbekannt scheint den Journalisten jedoch die Tatsache, dass Tucholsky einmal ein Gedicht über den dortigen Friedhof geschrieben hat. Die darin formulierte Prophezeiung sollte aber weder für ihn noch für ein anderes seiner Familienmitglieder in Erfüllung gehen:

Da, wo ich oft gewesen bin,
zwecks Trauerei,
da kommst du hin, da komm ich hin,
wenns mal vorbei.
Du liebst. Du reist. Du freust dich, du –
Feld U –
Es wartet in absentia
Feld A.
Es tickt die Uhr. Dein Grab hat Zeit,
drei Meter lang, ein Meter breit.
Du siehst noch drei, vier fremde Städte,
du siehst noch eine nackte Grete,
noch zwanzig-, dreißigmal den Schnee –
Und dann:
Feld P – in Weißensee –
in Weißensee.
Theobald Tiger: „In Weißensee“, in: Die Weltbühne, 19.5.1925, S. 741