Die beleidigten Gewerkschaftler

Vor wenigen Wochen ist ein neuer Band von Tucholskys „Gesamtausgabe“ erschienen. Der Band 11 versammelt die Texte aus dem Jahre 1929, deren 178. Neben den ausführlichen Erläuterungen enthält der Band auch eine Reihe von Texten, die in den bislang erschienenen Sammelbänden nicht enthalten sind. Die meisten dieser „neuen“ Artikel sind nicht sonderlich spektakulär. Einer hat es aber in sich: Passt er doch exakt auf jene Diskussion, die seit Bekanntwerden der VW-Korruptionsaffäre geführt wird. In seinem Artikel „Hoppe – Hoppe – Reiter!“ beschäftigte sich Tucholsky mit der Frage, wie Gewerkschaftler durch den Umgang mit den „Großkopfeten“ in Versuchung geführt werden:

Habe ich alle Gewerkschaftssekretäre beleidigt?
Vielleicht steckt jener Kritiker seine Nase einmal in die ‚Soziologie des Parteiwesens‘ von Robert Michels. Er wird darin finden, daß es eine Art von Gesetz gibt, dem leider alle die unterliegen, die sich nicht dagegen aufrappeln können: ein Gesetz, wonach der Vertreter der Arbeiterinteressen sich rasch dem Gegner anpaßt. Das ist eine große Gefahr. Es gehört ein Unmaß von Charakterstärke, von Glauben an die Sache, von echter Manneskraft dazu, im jahrelangen Verkehr mit den „Großkopfeten“ nicht die Balance zu verlieren. Da färbt vieles ab: die Umgangsformen, die Luft, die guten Zigarren …
Kurt Tucholsky: „Hoppe – Hoppe – Reiter!“, in: Die Arbeiterstimme (Dresden), 21.9.1929

Die drei Pünktchen nach den Zigarren waren für die Boulevardpresse natürlich das Interessanteste an der ganzen Affäre.