Der vergröberte Tucholsky

Wenn es zwei Antipoden der Tucholsky-Rezeption gibt, dann sind dies sicherlich Fritz J. Raddatz und Gerhard Zwerenz. Da Zwerenz am heutigen Freitag 80 Jahre alt wurde, fanden sich hier (SZ) und da (Berliner Zeitung), oder auch dort (Welt) kleine Würdigungen seiner Person, die „Frankfurter Neue Presse“ besuchte den Jubilar sogar in seinem Haus in der Taunus-Gemeinde Schmitten.

Allerdings geht nur die „Süddeutsche Zeitung“ auf die besondere Verbindung von Zwerenz mit Tucholsky ein. Dort heißt es:

In schöner Eintracht haben „der politische Zwerenz“ und „der erotische Zwerenz“ über hundert Bücher geschrieben, in konsequenter Vergröberung des Vorbildes Kurt Tucholsky, von „Kopf und Bauch“ (1971), der „Geschichte eines Arbeiters, der unter die Intellektuellen gefallen ist“, bis zum „Sex-Knigge“ (1983).

Diese „Vergröberung Tucholskys“ erklärt wohl auch die Angriffe auf Raddatz und Mary Gerold-Tucholsky, denen in der Zwerenzschen Tucholsky-Biographie vorgeworfen wurde, in ihren Auswahlbänden eine Anzahl von Texten nicht abgedruckt zu haben, die zu Tucholskys „politisch und erotisch schärfsten Produktionen gezählt werden müssen“ (S. 290). Vermutlich wollte Zwerenz das Tucholsky-Bild in eine Richtung verändern, die es mehr in Deckung mit seiner eigenen Person gebracht hätte.

Die Tucholsky-Forschung hat inzwischen nachgewiesen, dass Zwerenz‘ Kritik in diesem Punkt unberechtigt war. Allerdings muss man dem Vielschreiber zugute halten, dass er bei seinen Recherchen in Schweden bis dato unbeachtete Quellen aufdeckte, indem er Tucholskys schwedische Vertraute Gertrude Meyer befragte. Ob diese Recherchen in den Erzählungen „Eine Liebe in Schweden“ und „Gute Witwen weinen nicht“ hätten münden müssen, ist eine andere Geschichte. Aber irgendwie muss Zwerenz schließlich auf die mehr als hundert geschriebenen Bücher gekommen sein.

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