Von Alfred Behne
Es scheint, daß der liebe Gott Marxist geworden ist. Wenigstens demonstriert er uns die enge Verbundenheit aller geistigen Vorgänge mit den oekonomischen neuerdings auf eine äußerst nachdrückliche und einprägsame Weise – bis es Jeder kapiert hat.
In der Schule hörten wir den Lehrer berichten von Zeiten der „Reaktion“. Er mißbilligte ernst (damals!) die Polizei-Schikanen, die nach den „Freiheits“-Kriegen einsetzten, und die Verfolgungen, die nach 48 kamen. Wir mißbilligten sie mit ihm, aber konnten uns dabei nicht recht was vorstellen. „Reaktion“ war ein Begriff mehr zu „Cosinus alpha“ und „Augsburger Konfession“ und „Stickstoff“. Wir dachten nicht im entferntesten daran, daß wir eine solche unschöne Periode selbst würden erleben müssen.
Heute sind wir mitten drin. Benutzen wir die Gelegenheit, um die außerordentlich wichtige und interessante innere Struktur solcher „Reaktion“ zu studieren.
Auffallend ist, daß so Wenige das Ganze des Vorganges sehen, oder daß sie im günstigsten Falle, wenn sie Verbindungen zwischen Politik, Oekonomie und geistigem Schaffen ahnen, nur an den allgemeinen Einfluß der niederdrückenden „Stimmung“ glauben, während es sich um ganz exakte und konkrete Wechselwirkungen handelt.
Nehmen wir den Fall des Weimarer Bauhauses.
Gropius hat von vorn herein und mit ängstlicher Sorgfalt jede Politik vom Bauhaus ferngehalten, wie er sie auch vom „Arbeitsrat für Kunst“ ferngehalten hat. Freilich hat der Architekt Walter Gropius das Weimarer Denkmal für die Opfer des Kapp-Putsches im Auftrag der Gewerkschaften ausgeführt. Das war vielleicht inkonsequent. Aber dieses Denkmal ist wiederum so ängstlich unpolitisch, daß es, als sehr allgemein gehaltenes Symbol der „Erhebung“, ebenso gut hätte für Kappisten gesetzt werden können.
Alle politische Enthaltsamkeit hat dem Bauhaus nichts genützt. Und wie könnte es auch anders sein? Es ist Utopie, in einer politisierten Umwelt apolitisch sein zu wollen. Wer nicht aktiv politisch sein will, muß es passiv sein. Und wenn Politik ein Übel sein sollte, so ist passive Politik das größere. Das Schicksal des Bauhauses ist dafür Beweis. Es war schließlich nur noch ein Spielball zwischen den politischen Parteien, und es findet sein Ende nicht in einem offenen Kampf um künstlerische Prinzipien, wie es das als ein ehrenhaftes Ende gewiß für möglich gehalten hat, sondern Politiker treiben es aus politischen Gründen zur Selbst-Auflösung.
Gropius mag sagen, daß er dank seiner unpolitischen Haltung fünf Jahre habe arbeiten können, und daß er im andern Falle höchstens vier Jahre Zeit gehabt hätte. Er wird immerhin zugeben, daß dieses letzte Jahr mehr mit diplomatischer Arbeit als mit pädagogischer ausgefüllt war.
Aber die wichtigste Frage ist diese: Weshalb eigentlich will die thüringische Rechtsregierung das rein-künstlerische Bauhaus abbauen?
Ich lasse alle sekundären Momente (Verdacht gegen Ausländer; bürgerliche Verhetzung; akademische Eifersucht; provinziale Beschränktheit) beiseite, weil sie das Wesentliche nur verhüllen: Warum ist eine bestimmte politische Richtung gegen bestimmte künstlerische Gestaltungen?
Die allgemeine Vorstellung ist: Die künstlerische Form ist frei. Sie kann Gefallen finden oder auf Ablehnung stoßen – doch ist das ganz individuell. Die Leute, deren Geschmack zu eckigen Formen neigt, werden politisch von der allerverschiedensten Couleur sein, und ebenso Jene, die für weiche, runde Formen leichter zu haben sind.
Das ist allerdings wahr. Aber solange wir noch bei der Form sind, stehen wir noch nicht im Zentrum der Kunst, sondern nur beim Geschmack,
Das im Kunstwerk Entscheidende ist nicht die Wahl der Form – um Formen würde sich der Bürger ganz bestimmt nicht aufregen -, sondern die Ordnung seiner Elemente. Hier ist die Sphäre, wo sich Bildwerk und Gesellschaft, also Politik berühren. Jedes Kunstwerk spiegelt in der Ordnung seiner Elemente die allgemeinen Ordnungsprinzipien seiner Zeit.
Deshalb steht heute mit Notwendigkeit das abstrakte Bild und jede elementare künstlerische Gestaltung im Mittelpunkt eines erbitterten Kampfes, denn sie sind Prototypen einer allgemeingültigen Ordnung von betont sozialem Charakter. Deshalb gilt der abstrakten Kunst, dem Neo-Plastizismus, wie ihn Mondrian unerschüttert vertritt, der erbitterte Kampf aller am Kapitalismus Interessierten. Deshalb sieht das abstrakte Kunstwerk gegen sich in gemeinsamer Front Fascisten, Nationalisten und Demokraten.
Kunstgewerbe und guter Geschmack sind unpolitisch und individuell. Kunst ist im Tiefsten Politik und kollektiv.
Das Bauhaus glaubte ehrlich, unpolitisch sein zu können. Und hätte es sich auf die Verbreitung von Kunstgewerbe, wenn auch modernster Form, beschränkt, so hätte es mit der Zeit den Bürger beruhigt. Aber da es das Unglück hatte, von Künstlern geleitet zu werden, so stieß es zwangsmäßig auf Gestaltungsprobleme, das heißt: es vertrat bestimmte allgemeingültige Ordnungsprinzipien. Und obwohl die neuen Machthaber den Zusammenhang nicht verstehen, so haben sie doch einen geschärften Instinkt für die Gefährdung jener Ordnung, der sie ihre Macht verdanken. Ihre besondere Erbitterung gilt – und das ist bezeichnend – Kandinsky: nicht dem Russen, sondern dem Initiator der abstrakten Kunst.
Die Politiker der Linken sehen im Allgemeinen leider nicht weiter als die Reaktionäre. Auch sie halten die abstrakte Kunst für „überlebt“, weil sie zwar Marxisten sind, aber den bürgerlichen Trennungsstrich zwischen „Politik“ und „Feuilleton“ wie alles Gutbürgerliche fromm respektieren. Dort, wo sie eine Ahnung von der Funktion der Kunst haben, neigen sie dazu, den Satz:,, Kunst ist Politik“ zu verwechseln mit dem Satz: „Kunst habe Politik“. Das aber heißt: an einen Flugapparat ein Automobil anhängen, um schneller zum Ziel zu kommen.
Erschienen in: Die Weltbühne, 21/I, Nr. 02, 13.1.1925, S. 57
[…] nächste Text Behnes ist hochaktuell und verdient es, in voller Länge dokumentiert zu werden. In „Abbau der Kunst“ vom 13. Januar 1925 kommentierte Behne die Vertreibung des […]